“Wort zum Tag” im SWR Kultur am 11. November 2024
Sind vielleicht die Narren die besseren Realisten?
Manchmal denke ich das. Wenn die Welt einem absurden Narrenspiel gleicht, sind die Narren womöglich die Einzigen, die den echten Durchblick haben.
Der Gedanke, dass die Welt ein Narrenspiel ist, ist ja nicht neu. Darüber hat bereits im Mittelalter der Autor Sebastian Brant eine bissige Satire verfasst: “Das Narrenschiff”.
Es war das erfolgreichste deutschsprachige Buch vor der Reformation. Man lernt darin etwas über die menschliche Eitelkeit und Laster. Der Zeitgeist wird heftig kritisiert.
Und auch ein neuer Heiliger namens St. Grobian, der sich aufführt wie ein Flegel, wird ausgerufen.
Wörtlich heißt es an einer Stelle:
„Ja, wird alle Schrift und Lehre verachtet, dann lebt die ganze Welt in finsterer Nacht,
und tut in Sünden blind verharren, alle Straßen, Gassen sind voller Narren.“
An diesen Satz denke ich, weil heute die Zeit der Narrenumzüge und der Maskeraden beginnt.
Dort, wo ich aufgewachsen bin, im Nordhessischen, hat der Karneval zwar keine tiefen Wurzeln. Jedenfalls nicht so wie im Rheinland. Aber die Idee dahinter finde ich einleuchtend:
Wenn die Welt ein Narrenspiel ist, dann sind die Narren vielleicht die, die eine unverstellte Sicht auf die Dinge haben.
Ein Narr entlarvt die Anmaßung mancher Möchtegern-Erlöser und die hohlen Parolen von politischen Sprücheklopfern.
Das Lachen des Narren macht die Wirklichkeit erträglich.
Wenn die ganze Welt ein Tollhaus ist, ein Narrenschiff, dann ist der Narr derjenige, der das weiß und sich nicht blenden lässt.
Er versinkt wegen der Zustände nicht in Melancholie oder Depression. Sondern stimmt ein großes Gelächter an.
Über die Realität zu lachen, bedeutet ja immer auch, die Hoffnung zu haben, dass es nicht so bleiben muss. Dass es gerechter und menschenwürdiger zugehen kann.
„Das Gelächter ist der Hoffnung letzte Waffe“, so hat es einmal der amerikanische Theologe Harvey Cox formuliert.
Und das stimmt! Lachen und Hoffen gehören zusammen.
Von diesem Gedanken lasse ich mich gerne ermutigen. Und will mir weder die Hoffnung noch das Lachen nehmen lassen. In diesen närrischen Zeiten.
Klaus Nagorni, Karlsruhe, Evangelische Kirche