Johann Peter Hebel

Betrachtung über ein Vogelnest
1814

Wenn der geneigte Leser ein Finkennest in die Hand nimmt und betrachtet’s, was denkt er dazu?
Getraut er sich, auch so eins zu stricken, und zwar mit dem Schnabel und mit den Füßen?
Der Hausfreund glaubt’s schwerlich. Ja, er will zugeben: Der Mensch vermag viel.
Ein geschickter Künstler mit zwanzig feinen künstlichen Instrumentlein kann nach viel misslungenen Versuchen zuletzt etwas herausbringen, das einem Finkennest gleichsieht, und alle, die es sehen, können es von einem wirklichen Nest, das der Vogel gebaut hat, nicht unterscheiden.

Alsdann bildet sich der Künstler etwas ein und meint, jetzt sei er auch ein Fink.

Guter Freund, dazu fehlt noch viel. Und wenn ein wahrer Fink, wie du jetzt auch einer zu sein glaubst, dazukäme und könnte dein Machwerk durchmustern wie der Zunftherr ein Meisterstück, so würde er den Kopf ein wenig auf die linke Seite drücken und dich mit dem rechten Auge kurios ansehen, und so er menschlich mit dir reden könnte, würde er sagen: „Lieber Mann, das ist kein Finkennest! Ich mag’s betrachten, wie ich will, so ist’s gar kein Vogelnest. So einfältig und ungeschickt baut kein Vogel. Was gilt’s, du Pfuscher hast’s selber gemacht!”
Das wird zu dem Künstler sagen der Fink.


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